Hauptstadt ohne Elite – der politische Ursprung von BFC Dynamo
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Wie baut man ein Fußballimperium in einer Stadt, die keines hatte? Diese Frage stellte sich in den frühen 1950er Jahren die Führung der DDR – genauer gesagt Erich Mielke, Präsident der Sportvereinigung Dynamo und Chef der Stasi. Ostberlin, das politische Herz der DDR, hatte kein Top-Team in der DDR-Oberliga. Die Antwort war radikal: Man verlegte einfach einen ganzen Verein.
1954 wurde SC Dynamo Berlin gegründet – nicht etwa durch sportlichen Aufstieg, sondern durch einen großangelegten Transfer: Die komplette erste Mannschaft von SG Dynamo Dresden wurde nach Berlin delegiert, samt Ligaplatz. Darunter befanden sich klangvolle Namen wie Johannes Matzen, Herbert Schoen und Günter Schröter – Spieler, die das Fundament des neuen Hauptstadtklubs bilden sollten. Sportlich ein Coup, moralisch ein Skandal? Das hängt ganz von der Perspektive ab.
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Frühe Jahre: Erfolg, aber kein Monopol
SC Dynamo Berlin feierte am 21. November 1954 sein erstes Pflichtspiel. Bereits fünf Jahre später gelang der erste große Triumph: Der Gewinn des FDGB-Pokals 1959. Der Club war etabliert – aber noch kein Aushängeschild des DDR-Fußballs. Die 1960er Jahre blieben von Mittelmaß geprägt. Während ASK Vorwärts Berlin, der Klub der Armee, den Ton angab, wirkte Dynamo Berlin wie ein schlafender Riese, umgeben von politischen Erwartungen, aber sportlich unvollendet.
Dann kam das Jahr 1966. Eine Reorganisation. Ein Neuanfang. Die Fußballabteilung wurde abgekoppelt und neu formiert als Berliner FC Dynamo – oder kurz: BFC Dynamo. Der Name sollte bald in ganz Ostdeutschland entweder mit Stolz oder mit Ablehnung genannt werden.
Der goldene Albtraum der 1980er
Wer DDR-Fußball sagt, sagt auch: BFC Dynamo. Zehn Meistertitel in Serie von 1979 bis 1988 – das hat kein anderer Klub geschafft. Eine Dekade der Dominanz, die nicht nur durch sportliche Stärke erklärt werden kann. Der Klub wurde zum Symbol des Erfolgs – und zur Projektionsfläche des Hasses.
Warum? Ganz einfach: BFC Dynamo galt als der Klub der Stasi. Unterstützt von Erich Mielke persönlich, sollen Schiedsrichterentscheidungen, Transfers und Funktionärsposten immer wieder zugunsten des Klubs beeinflusst worden sein. Ob das stimmt, ist schwer nachzuweisen – aber das Gefühl war da. Und Gefühle bestimmen nun einmal die Rivalitäten im Fußball.
Die größte davon? Dynamo Dresden. Der Club, dessen Platz man 1954 genommen hatte. Der Club, der in den 1980ern eigentlich ebenfalls Meistermaterial war – aber Jahr für Jahr hinter dem Berliner Schatten blieb. Es war mehr als ein sportliches Duell: Es war Ost gegen Ost, Provinz gegen Hauptstadt, Herz gegen Macht.
Eine Rivalität wie keine andere
BFC gegen Dresden – das war kein Derby im klassischen Sinne. Es war ein Kampf um Identität. Während Dresden die Fanmassen mobilisierte, das Stadion kochte und die Mannschaft kämpfte, wirkte BFC wie ein strategisches Projekt der Machtelite.
Die Spiele zwischen beiden waren elektrisiert, angespannt, voller Symbolik. Verlor Dresden, war das für viele Fans nicht nur eine sportliche Niederlage – es war eine Niederlage gegen „den Apparat“. Die Wut saß tief. Bis heute spürt man diese emotionale Aufladung in Gesprächen mit älteren Fans, in Fangesängen und sogar in Dokumentationen über DDR-Fußball.
Der Fall der Mauer – und der Fall des Giganten
1989 fiel nicht nur die Mauer. Es fiel auch das System, das BFC Dynamo zur Macht verholfen hatte. Ohne politische Rückendeckung, ohne institutionelle Vorteile, wurde aus dem zehnfachen Serienmeister ein ganz normaler Verein – mit all den finanziellen und strukturellen Problemen, die die Nachwendezeit mit sich brachte.
Dynamo Dresden konnte sich kurzzeitig in der Bundesliga halten. BFC dagegen stürzte ab. Heute spielen die beiden Rivalen in unterschiedlichen Ligen – Begegnungen gibt es kaum noch. Und doch lebt das Duell weiter. In den Geschichten, in den Gesängen, in der Geschichte des deutschen Fußballs.
BFC heute – zwischen Vergangenheit und Wiedergeburt
Was ist BFC Dynamo heute? Ein Verein mit großem Namen, aber kleinem Etat? Oder eine Legende, die auf ihre Wiederauferstehung wartet?
Fakt ist: Der Klub hat sich in den letzten Jahren sportlich stabilisiert und versucht, an glorreiche Zeiten anzuknüpfen – ohne politische Seilschaften, dafür mit Fans, die trotz aller Geschichte loyal geblieben sind. In Berlin, einer Stadt voller Fußballclubs, ist BFC Dynamo eine Marke. Eine kontroverse, aber unvergessliche.
Die Rivalität mit Dresden ist Geschichte – aber keine Vergangenheit. Und genau darin liegt der Reiz: BFC Dynamo ist ein Spiegel der DDR-Fußballgeschichte. Und wer diesen Verein versteht, versteht auch ein Stück deutsche Fußballkultur.
Fazit: Mythos, Macht und Moral
Die Geschichte von BFC Dynamo ist keine einfache. Es ist keine Story vom Underdog, der sich hochkämpft – sondern vom politisch gewollten Spitzenclub, der von vielen geliebt, von ebenso vielen gehasst wurde. Sportlich beeindruckend, politisch brisant – ein Kapitel Fußballgeschichte, das man nicht ausblenden darf.
Heute sind die Zeiten andere. Doch der Mythos lebt weiter. In den Erinnerungen, in der Rivalität mit Dynamo Dresden, und in der Frage: Was wäre gewesen, wenn?
Denn im Osten war nichts neutral – schon gar nicht der Fußball.
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