Dresden, 11.09.2024
Wäre der Sommer dem Teufel mit den drei goldenen Haaren vergleichbar, dann könnte man wohl sagen, dass er an diesem Wochenende ungefähr das vorletzte eingebüßt hat. Ob er das verbliebene noch ein bisschen aufzutoupieren vermag, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.
Wir jedenfalls haben das besagte vorletzte Haar über die Elbe wegflattern sehen, in Dresden - dem Geburtsort von Erich Kästner und Christiane Hörbiger, dem Arbeitsplatz von August dem Starken und Michael Kretschmer.
Dresden, es gibt wohl kaum einen, den die Schönheit dieser Stadt achselzuckend zurücklässt. Und wenn, dann liegt das Problem sicher nicht bei diesem stadtgewordenen Gemälde im genau richtigen landschaftlichen Rahmen, das durch die Jahrhunderte von den begnadetsten Künstlern und Geldern der einleuchtendsten oder zwielichtigsten Herkunft seine Leuchtkraft bewahren konnte. Sich selbst aus traurigsten Trümmern wieder emporschwingend könnend.
Über einschlägig politische Schwingungen und Trends in Sachsen, je weiter man gen Osten sieht, kann man dieser Tage sicher noch mehr nachdenken und reden. Und berechtigte Besorgnis äußern.
Doch das ist an diesem Wochenende bewusst nicht das Pferdchen, das ich auf meinem Gedankenkarussell zu reiten trachte.
Aber dass man Dresdner verstehen kann, die bewusst konservativ - also im besten Sinne "bewahrend", "erhaltend" wählen, ist bei weitem nicht ganz unverständlich. Dieser Eindruck erhärtet sich bei jedem meiner Aufenthalte hier verlässlich. Und ich bin oft - und vor allem gern - da.
Dieses letzte hochsommerliche Wochenende, an dem die Menschen beflippfloppt, kurzbehost und kaum die kalte Schulter unterm Spaghettiträger präsentieren. Das Wochenende mit über 30 Grad, an dem fahrradbehelmte Elekro-Bike-Paare schwitzend an einem vorbeipflügen, Frauen in femininen Fähnchen gewandet in Freiluft-Cafes das bloßgelegte Bein in den Schritt des gegenüber sitzenden Liebsten legen, der dieses gedankenverloren streichelt, während sie ihm aus einer sommerleichten Lektüre vorliest- Das Septemberwochenende, an dem fröhliche junge Dresdner und ihre Familien dem lautstarken Moderator eines fidelen Seifenkistenrennens zujubeln, der gerade einen weiteren mutigen Piloten eines illustren Gefährts mit einer Grünpflanze im Heck seines illustren Gefährts todessehnsüchtig einen Elbhang runterbrettern lässt. Da ist man einem blauen Wunder nicht weit.
Aber es gibt auch noch andere Brücken. Die umstrittene in Gestalt der Waldschlösschenbrücke zum Beispiel. Sie ist nicht opulent, nicht barock, aber lang und schlank. Und macht keine Schwierigkeiten. Und Romantik findet sowieso ihre Nischen. Überall. Am gestrigen Sonnenuntergangs-Samstagabend steht ein Liebespaar- er vielleicht Mitte dreißig, sie maximal Anfang zwanzig im roten Kleid und roten Sandalen - innig ineinander versunken, aber doch zuweilen den Blick hebend - auf die Canaletto-Szenerie der Altstadt, der sich nicht mal ein notorisch Unverliebter entziehen kann.
Als wir nach einer dreiviertel Stunde die Brücke in umgekehrter Richtung beradeln, stehen die beiden noch genauso da wie vor einer dreiviertel Stunde. Als seien sie Teil des Gemäldes. Oder weil Liebe - oder zumindest Verliebtsein - doch im richtigen Leben nicht ganz so schnellbeig ist, wie das nächste sehnsüchtige herbeigewischte Tinder-Match.
Dresden und ich matchen ehrlich gesagt ganz schön. Natürlich ist es nur ein Elb-Florenz. Aber immerhin ein kleines Florenz. Und selbst aus dem kleinsten Florenz kann man nie und nimmer weggehen, ohne irgendwas zurückzulassen.
So viel ist klar. Ein bisschen verstehende Liebe. Jede Menge Aaahs und Ooohs. Und das ewige Verwundertsein, warum hier die Uhren ganz bockig irgendwie anders ticken.
Ich möchte hier immer und immer wieder zurückkommen.
Nicht aus Rückwärtsgewandtheit oder Puppenstubenstädtchen-Romantik-Mentalität. Sondern aus dem Gefühl heraus, dass man durchaus mit der Zeit gehen kann (und muss) und trotzdem mit seiner Geschichte(n) geschwelllten Brust der Welt die Stirne bieten kann.
Elb-Anatomie eben.
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