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Dunkelrestaurant Sinneswandel


Oliver Wiegand, Karina und Jan Zober v.li.
Oliver Wiegand, Karina und Jan Zober v.li.

Dresden, 07.09.2023 (Kleinzschachwitz)

Einen Restaurantbesuch sollte man, das ist hinreichend bekannt, bestenfalls mit allen Sinnen genießen können. Beim „Dinner in the Dark“ wird einem der fünf Sinne gezielt das Licht ausgeknipst: Das Auge darf hier ausnahmsweise mal nicht mitessen. Dass das aber mitnichten ein Nachteil für das kulinarische Gesamterlebnis ist, wissen Karina und Jan Zober, die seit inzwischen fast 14 Jahren erfolgreich das Dunkelrestaurant „Sinneswandel“ in Kleinzschachwitz betreiben. Beide stammen aus der Hotellerie, der Plan, gemeinsam mit einem Restaurant in die Selbstständigkeit zu starten, war gefasst - „aber wir wollten etwas anderes machen, es sollte was Besonderes sein“, sagt Karina. In Berlin besuchte das Paar erstmals selbst ein Dunkelrestaurant und war fasziniert über den Rollentausch, der zwischen sehbehinderten Menschen, die im Alltag oft auf Hilfe angewiesen sind, und den Gästen im Restaurant vollzogen wurde. In völliger Dunkelheit waren auf einmal sie es, die ohne Unterstützung der Kellner komplett aufgeschmissen waren.

Schnell stand für die beiden fest, das Dinner in the Dark nach Dresden zu holen. Etwas langwieriger gestaltete sich dann die Umsetzung. Viel Kraft und Mühe kostete es, die Bank zu überzeugen und ein geeignetes Objekt zu finden. In Innenstadtlage waren die Mieten nahezu unerschwinglich, der jetzige Laden an der Berthold-Haupt-Straße 91 ist zwar etwas weiter draußen, hat aber viele Vorteile: „Natürlich haben wir uns mit dem Thema Sehbehinderung im Vorfeld intensiv auseinandergesetzt“, erklärt Jan. „Wichtig war uns deshalb eine gute Erreichbarkeit für unsere Mitarbeiter*innen, wir haben hier die Bushaltestelle direkt vor der Tür“.

Während mit Oliver Wiegand, den Jan noch aus ihrer gemeinsamen Zeit im Hilton kannte, der Küchenchef schon feststand, stellte die Suche nach Servicepersonal das junge Team vor Herausforderungen. Anders als andere Dunkelrestaurants wollten sie nicht mit Technik wie Wärmebildkameras arbeiten, wichtig war allen von Anfang an der inklusive Ansatz: „Wir wollen einerseits Menschen mit Sehbehinderung eine Perspektive bieten,“ erklärt Jan, „der Perspektivwechsel, den unsere Gäste selbst hier durchlaufen, die Möglichkeit zum Austausch mit unseren Mitarbeiter*innen, macht andererseits auch das Erlebnis aus. Das kann keine Technik leisten - auch wenn das wirtschaftlich sicher klüger wäre, haben wir darauf ganz bewusst verzichtet“.

Über die Reha-Abteilung der Agentur für Arbeit erhielten die Gastronomen die Möglichkeit zu einer Info-Veranstaltung, zwei der damaligen Interessenten sind noch heute fester Bestandteil der Sinneswandel-Crew. Weil keiner der Service-Mitarbeiter*innen tatsächlich auch aus dem Service kommt, musste sich das Team alle Abläufe zunächst gemeinsam erarbeiten -„wir haben einfach probiert“, erinnert sich Karina und lacht. Inzwischen ist das aktuell zehnköpfige Team eingespielt, nach stetiger Weiterentwicklung über die Jahre ändern sich heute nur noch Kleinigkeiten. Neue Mitarbeiter*innen werden von den „alten Hasen“ eingearbeitet, kommen oft aus deren Bekanntenkreisen und Netzwerken.


Mit einer Architektin gelang es die zweite große Aufgabe zu lösen: Die Räume so dunkel zu kriegen, dass kein Lichtschimmer den Weg hinein findet - auch dann nicht, wenn das Essen zum Gast kommt. Wer mit dem Gedanken ins Dunkelrestaurant geht, irgendwas werde man schon sehen, liegt nämlich falsch: Es ist tatsächlich zappenduster. Handys, Smartwatches und sonstige Lichtquellen werden vor Betreten des Gastraums in den Schlafmodus versetzt, Schummeln ist also nicht.


Sich komplett in fremde Hände zu begeben, braucht Vertrauen. Deshalb wird im gemütlichen Eingangsbereich, der gleichzeitig auch Gastraum für alle ist, die lieber im Hellen die gute Küche genießen wollen, jeder Gast erst einmal herzlich in Empfang genommen. Zum Aperitif nebst Amuse gibt es die Karte, aus der zwischen drei Menüs -Fisch, Fleisch, vegetarisch- sowie einem vierten Überraschungsmenü gewählt und die erste Getränkebestellung aufgegeben werden kann. Nach einer kurzen Einführung geht es mit Unterstützung der Kellner*innen in einer polonaiseartigen Prozedur durch eine Schleuse in einen der beiden stockdunklen Gasträume, die jeweils 25 Gästen Platz bieten.


Um auch hier den maximalen Wohlfühlfaktor zu schaffen, wird jeder Tisch pro Abend nur einmal vergeben, auch werden niemals Fremde zusammen an einen Tisch gesetzt. Mit Brotkorb und Dips geht der Spaß dann direkt los - gar nicht so leicht, sich im Dunkeln zurechtzufinden. Richtig spannend wird es dann, wenn die aufwändig kreierten Speisen den Weg zum Gast gefunden haben. Angerichtet sind die Teller nämlich ebenso schön, wie man es bei einem Restaurantbesuch erwarten würde, denn auf halbe Sachen haben Oliver Wiegand und sein Küchenteam keine Lust.

Spannend findet der 36-Jährige, der zwischendurch das Restaurant für einige Jahre verlassen hatte, um in anderen Küchen Erfahrungen zu sammeln und über den sprichwörtlichen Tellerrand zu blicken, vor allem das Spiel mit den verschiedenen Konsistenzen und Texturen, das im Dunkeln nochmal zusätzlich an Bedeutung gewinnt: „In der Karte stehen zwar die einzelnen Komponenten, so weiß der Gast immer, was ihn grundsätzlich erwartet. Wir lieben es aber, Überraschungsmomente zu kreieren indem wir zum Beispiel in der Vorspeise den Kürbis als Eis mit Thunfisch anrichten oder auch mal die Möglichkeiten der Molekularküche nutzen, um besondere Erlebnisse auf der Zunge zu schaffen“.

Keine Abstriche macht das Küchenteam bei der Qualität der Rohstoffe, auch hier gilt es, verantwortungsvoll mit dem Vertrauensvorschuss der Gäste umzugehen, „zudem würde man im Dunkeln sofort merken, wenn man etwa ein qualitativ minderwertiges Stück Fleisch vorgesetzt bekommt, die Wahrnehmung ist da viel geschärfter. Insgesamt kochen wir aber auf einem Niveau, dass es keinen Unterschied macht, ob das Menü jetzt im Dunkeln oder im Hellen serviert wird“. Das bestätigt auch die erfolgreiche erste Teilnahme am Menü-Wettbewerb Kochsternstunden, bei dem das Restaurant in diesem Jahr den fünften Platz belegte.

Einige Einschränkungen gibt es allerdings dann doch, „mein großer Wunsch, mal eine schöne Lammkrone zu servieren, wird seltsamerweise immer abgewählt“, scherzt Oliver.

Weil sich selten Laufkundschaft ins Dunkelrestaurant verirrt und das vorwiegende Reservierungsgeschäft eine gute Planbarkeit mit sich bringt, wird nicht nur frisch sondern auch sehr nachhaltig gekocht - weggeschmissen werden muss wenig. Auch in Zeiten von immer mehr Allergien und Unverträglichkeiten bei den Gästen ist es von Vorteil, genau zu wissen, was wo drin ist.

Für die Gäste hingegen ist es schon schwieriger, die einzelnen Bestandteile des Menüs herauszuschmecken. Auch wenn in der Dunkelheit die anderen Sinne umso mehr angesprochen werden, ist das Erstaunen immer wieder groß, wie schnell der Geschmackssinn auf eine falsche Fährte gelockt wird. Aus eigener Erfahrung kann ich übrigens sagen: Selbst wenn man weiß, welches Menü in etwa auf den Tisch kommt, lässt die ungewohnte Situation die einzelnen Bestandteile viel zu schnell in Vergessenheit geraten. Die unterschiedlichen Darreichungsformen tun ihr Übriges, um ähnlich wie beim Überraschungsmenü mit jedem Gang vor ein neues Geschmacksrätsel gestellt zu werden. Und das zu lösen macht riesigen Spaß, auch weil die Kellner*innen neben sehr einfühlsamer Unterstützung auch mit großem Entertainment und viel Charme und Witz durch den Abend begleiten.

Schnell stellen sich auch etwaige Vorbehalte und Ängste, sich im Dunkeln zu bekleckern, einen unfreiwilligen Polterabend zu veranstalten oder die Einrichtung zu zerstören, als unbegründet heraus. „Man is(s)t viel konzentrierter“, fasst Jan zusammen, „es gibt weniger Ablenkung. Man kann nicht mal eben nebenbei aufs Handy schauen, die Mails checken oder eine Nachricht beantworten. Auch gleichzeitig reden und essen ist weniger praktikabel - der Fokus liegt je nach dem auf der einen oder der anderen Sache. Das bringt auch eine gewisse Entschleunigung mit sich“. Viele der Gäste sind „Wiederholungstäter“, bringen zum zweiten Besuch, der im Wissen, was einen erwartet, nochmal ganz anders erlebt werden kann, Freunde mit oder verschenken das Erlebnis.

Den „typischen Dunkelrestaurant-Gast“ indessen gebe es nicht, „vom Zehnjährigen bis hin zur 89-jährigen Oma, die strahlend rauskommt, ist hier alles dabei. Das macht es auch für uns so besonders und so spannend, jeder Abend und jeder Gast ist anders“. Dazu gehört auch, dass nicht alle Gäste sich mit dem Konzept anfreunden können - und das auch nicht immer unbedingt schon im Vorhinein selbst wissen. Wer erst mittendrin feststellt, dass Essen in absoluter Dunkelheit heute oder generell nicht das Richtige ist, kann jederzeit wieder den Weg ins Licht antreten. „Das kommt immer wieder mal vor“, sagt Jan, „das ist für uns überhaupt kein Problem, jeder Gast hat die Möglichkeit, sein Menü dann ganz in Ruhe im Hellen zu genießen“.

Wer sich erstmal vorsichtig herantasten möchte, kann den Sinneswandel auch im Rahmen eines Hochzeits- oder Eventcaterings mit Show-Kochen bei Tageslicht vollziehen - oder beim sonntäglichen WandelBrunch beide Seiten kennenlernen: Frühstückskomponenten, kalte Vorspeisen und Eierspeisen werden ab 9.30 Uhr im Hellen serviert, die warmen Speisen gibt es ab 11.30 Uhr als Auszüge der jeweils aktuellen Karte im Dunkeln.

Pro Monat wird ein Menü gegen ein neues getauscht, so kommt nicht nicht nur Abwechslung ins Spiel sondern auch die sehbehinderten Mitarbeiter werden aktiv in den Prozess des Probekochens und Foodtastings mit einbezogen, um die Gäste bestmöglich beraten und begleiten zu können. Was es zu essen gab, bekommt man übrigens im Nachgang im gedämmten Eingangsbereich via Fotoleinwand dann doch noch zu sehen. Angesichts der kunstvoll angerichteten Teller stellt sich (auch hier spreche ich aus eigener Erfahrung, meine Mutter habe ich selten so reumütig erlebt) bei vielen Gästen instant ein schlechtes Gewissen ein. Auch das ist, wie Oliver lachend erklärt, aber halb so wild: „Die Teller kommen selten so schlimm zurück, wie die Gäste das glauben. Meist sieht das einfach ganz normal aus, manchmal findet sich aber auch eine deutlich erkennbare Zungenspur auf dem Teller“.

Das spricht für die exzellente Küchenleistung, denn eines ist allen klar: „Erlebnis hin oder her, am Ende werden wir vor allem am Essen gemessen. Wenn das nicht gut ist“, so ist sich Jan sicher, „dann ist am Gesamtkonzept irgendwas falsch“. Das Gesamtkonzept stimmt im Sinneswandel: Neben tollem Essen ermöglicht das Konzept „Dinner in the Dark“ über den offensichtlichen Spaß hinaus auch die Möglichkeit, miteinander in Kontakt und in den Austausch zu kommen. So schlägt das Restaurant eine Brücke zwischen Sehenden und Nichtsehenden und bietet die großartige Chance, einen erlebnisreichen Abend voll kulinarischer Überraschungen trotz Dunkelheit mal mit ganz anderen Augen zu sehen.


Ein Beitrag von Kaddi Cutz

 

Dunkelrestaurant Sinneswandel

vertreten durch: Jan Zober

Berthold-Haupt-Straße 91, 01259 Dresden

Telefon: 0351 4267835

info@dunkelrestaurant-sinneswandel.de

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